Gruppenbild der Fraktionen eingerahmt durch Herrn Minister Dr. Wolfgang Hartmannsdorfer und die Geschäftsführerin Mag. Sandra Wiesinger
Martin Kresse
Herausforderndes Verhalten: Gute Lösungswege in Oberösterreich erfahren!
Der LVR betreut in seinen Heilpädagogischen Einrichtungen zunehmend Menschen, die mit herausforderndem Verhalten auch aggressiv werden. Daher werden mittlerweile dort auch Sicherheitsdienste eingesetzt. Da wir dies nur als Übergangsweg ansehen, wollten wir in der Region Linz fachliche Alternativen kennenlernen. Darüber hinaus möchte ich das Institut Hartheim vorstellen, über die Anwendung des oberösterreichischen Chancengleichheitsgesetzes berichten, fähigkeitsorientierte Beschäftigungsmöglichkeiten darstellen und schließlich an die 30.000 Menschen erinnern, die von den Nazis in Schloss Hartheim ermordet worden sind.
Institut Hartheim in der Region Linz
Zuerst stellte uns die Geschäftsführerin Mag. Sandra Wiesinger das Institut Hartheim in der Region Linz vor. Die Komplexeinrichtung wurde 1892 vom Oberösterreichischen Landeswohlfahrtverband gegründet. Hauptaufgabe ist die Betreuung von Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen.
1938 wurde der oberösterreichische Landeswohlfahrtsverband enteignet und aufgelöst, zwischen 1940 und 1945 wurden etwa 30.000 Menschen in Schloss Hartheim ermordet. Darüber berichte ich weiter unten ausführlich. Nach dem Zweiten Weltkrieg erhält der Landeswohlfahrtsverband sein Eigentum zurück. 1965 wird der Grundstein für das neue Institut gelegt. Zuerst ziehen Kinder und Jugendliche mit Behinderung ein. In den achtziger Jahren werden auch immer mehr Erwachsene im Institut betreut und es entstehen Ausbildungslehrgänge für die Betreuer*innen. Aktuell dezentralisiert sich das Institut und hat Angebote in den Bereichen integrative und heilpädagogische Kindergärten und Hort, verschiedene Wohnformen, fähigkeitsorientierte Aktivitäten und integrative Beschäftigung in Tagesheimgruppen, Werkstättengruppen, Ambulanzen für medizinisch therapeutische Behandlungen und freizeitpädagogische Angebote.
Bei etwa 570 Vollkräften und 800 Mitarbeiter*innen werden 820 „anvertraute Menschen“ – davon spricht Frau Wiesinger immer – an 18 Standorten in Wohnbereichen und 13 Standorten mit fähigkeitsorientierte Aktivitäten betreut (www.institut-hartheim.at).
Oberösterreichisches Chancengleichheitsgesetz
Der Landesrat für Soziales, Integration und Jugend, Dr. Wolfgang Hartmannsdorfer von der ÖVP, begrüßte den HPH-Ausschuss. Er ist Mitglied der Oberösterreichischen Landesregierung und stellte uns das 2008 in Kraft getretene Oberösterreichische Chancengleichheitsgesetz vor. Ziel des Gesetzes ist es, Menschen mit Beeinträchtigungen insbesondere durch die Vermeidung und Verringerung des Entstehens von Beeinträchtigungen und Behinderungen eine Eingliederung in die Gesellschaft zu ermöglichen. Eine Berücksichtigung der UN-BRK scheitert bisher, weil Zentralregierung und Länder wegen der Kostenfolgen nicht einig werden. In Oberösterreich gibt es 5200 teil- und vollstationäre Plätze im Bereich Wohnen. Herausfordernd ist es zurzeit die Warteliste mit 400 Interessent*innen abzuarbeiten. Im Bereich Arbeit ist Schwerpunkt die integrative Beschäftigung in Betrieben, was bei immerhin 32 % der Anspruchsberechtigten gelingt. Schlüssel zum Erfolg ist, dass es eine immer kurzfristig erreichbare Anlaufstelle für Betriebe gibt, die die Menschen mit Behinderung und den Betrieb effektiv begleitet, und die Tatsache, dass der Betrieb einen Gewinn durch die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung hat. Die Mittagspause im Café Lebenswert, einem Integrationsbetrieb, wurde für weitere informelle Gespräche genutzt.
Der Nachmittag war geprägt von Besuchen in Kleingruppen, in Wohngruppen und bei fähigkeitsorientierten Aktivitäten. In den Wohngruppen, die ich gesehen habe, leben Menschen mit hohem Hilfebedarf in etwa Sechsergruppen zusammen, alles ist wohnlich und robust gebaut und bietet viel Erleichterung für das Personal im Bereich Pflege.
Fähigkeitsorientierten Aktivitäten
Beim Besuch von fähigkeitsorientierten Aktivitäten habe ich eine Fahrradwerkstatt gesehen. Auffällig bei diesen Angeboten ist, dass die Gruppe sehr inhomogen ist: belastbare und Menschen mit hohem Hilfebedarf leben und arbeiten in einer Aktivitätengruppe. Schwerpunkt ist aber die Vermittlung in betriebsintegrierte Arbeitsplätze. Dies erfordert langjährige Akquise und intensive verlässliche Kontaktpflege zu Betrieben, die erleben, dass sie jederzeit kurzfristig Support abrufen können. Beschrieben wird oft, dass die entschleunigte Arbeitsatmosphäre, die von Menschen mit Behinderung ausgeht, sich positiv auf die gesamte Betriebsatmosphäre auswirkt.
Die Vorstellung von kleinen Wohngruppen für Menschen mit besonderen Bedarfen und herausforderndem Verhalten hat mich sehr beeindruckt: etwa vier Menschen leben in unmittelbarer Nachbarschaft eines Wohnheimes in einer kleinen Gruppe mit konstanten Bezugsperson. Diese Bezugspersonen gehen mit den „anvertrauten Menschen“ durch „dick und dünn“, also Deeskalation, was allerdings nicht immer gelingt. Dies führt aber nicht zu einem Beziehungsabbruch, sondern höchstens zu einer Beziehungspause, weil andere pädagogische Mitarbeiter*innen des Heims dazu geholt werden können. Die Beziehungskontinuität wird erreicht durch intensive Schulung auch mit Selbsterfahrungsinhalten, Supervision und Coaching. Das Prinzip ist, dass verhindert werden soll, dass Menschen mit herausforderndem Verhalten dauerhaft abgelehnt werden.
Gedenkstätte Schloss Hartheim
Am späten Nachmittag besuchten wir die Gedenkstätte Schloss Hartheim.
Es hat 50 Jahre gedauert, bis auch an die im Rahmen der „Euthanasie und T4 Aktion“ ermordeten fast 20.000 Menschen mit Behinderung erinnert wurde. Für etwa 10.000 politischen Häftlinge, die als krank oder invalide in der „Aktion 14f13“ aus den Konzentrationslagern ausgesondert und die auch hier ermordet wurden, gab es schon früher eine Gedenkmöglichkeit. Die Gedenkstätte ist ein authentischer und bewegender Ort, weil an die Opfer namentlich erinnert wird und Gaskammer und Krematorium zu begehen sind. In der ersten Etage haben wir die Ausstellung “Wert des Lebens“ besichtigt, die zu einer aktuellen Auseinandersetzung mit Menschenbildern und gesellschaftlichen Entwicklungen einlädt (www.schloss-hartheim.at).
Am Abend besuchten wir ein erstklassiges Einmann-Figurentheater zur österreichischen Zeitgeschichte: Nikolaus Habjan spielt die Biographie „F. Zawrel – erbbiologisch und sozial minderwertig“ (1929 – 2015). Habjan geht nicht nur in die Rolle Zawrels, sondern auch in die von folternden Pflegern in der Kinderanstalt „Spiegelgrund“ in Wien und die des Arztes Dr. Heinrich Gross, der die Nazi-Rassenlehre bei Zawrels gnadenlos umsetzt und ungestraft nach dem Krieg seine Gutachterkarriere fortsetzt, erneut Zawrel gutachterlich degradiert und sich schließlich in einem Gerichtsverfahren selbst durch angebliche Demenz der Verurteilung entzieht. Friedrich Zawrel wurde erst in den achtziger Jahren rehabilitiert und kurz vor seinem Tod mit dem Goldenen Ehrenzeichen der Republik Österreich ausgezeichnet. Die Inszenierung entstand in enger Zusammenhang mit Friedrich Zawrel und wurde mit dem renommierten Nestroypreis und dem Schweizer Kulturpreis „Grünenschnabel“ ausgezeichnet.
Am letzten Vormittag waren wir Gast in der Johannes Keppler Universität Linz zu den Themen Digitalisierung und Assistierende Technologien (www.jku.at/iis).
Die Reise war sehr gut von der Verwaltung organisiert und inhaltlich inspirierend.