Ausschussreise des LVR-Kulturausschusses vom 17.04.-21.04. 2023
Bärbel Hölzing und Ruth Seidl
Am 17.04.2023 startete der Kulturausschuss des Landschaftsverbandes seine viertägige Informationsreise nach Luxemburg, Ostbelgien (Deutschsprachige Gemeinschaft) und ins Saarland.
Auf dem Reiseplan standen die Stationen Kelmis (Belgien) – Esch-sur-Alzette (Luxemburg), Perl-Borg und Völklingen (Saarland).
Die Mitglieder des Kulturausschusses und die Kulturverwaltung wollten sich über die verschiedenen Transformationen ehemaliger Industriestandorte in neue Nutzungen informieren. Exemplarisch wurden deshalb zwei exponierte Standorte ausgewählt, die eine sehr unterschiedliche Umwandlung zu Nachnutzungen vollzogen haben: Der Stahlstandorts Belval in Esch-sur-Alzette (Luxemburg), der Europäischen Kulturhauptstadt im Jahre 2022 und Sitz der Universität Luxemburg, sowie die Völklinger Hütte im Saarland.
Ausgestattet mit einer schwarzen Jutetasche, auf deren Vorder- und Rückseite die Reiseroute aufgedruckt war und so bestens verfolgt werden konnte, starteten die Reisenden mit dem Bus nach Kelmis/Ostbelgien.
Kelmis: Museum Vieille Montagne (MVM) / Museum Altenberg In Kelmis haben wir das ehemalige Direktionsgebäude der Gesellschaft Vieille-Montagne für die Agentur Moresnet (1910) besucht. Schon im Mittelalter wurde Galmei am Altenberg abgebaut, um Messing herzustellen. Internationale Bekanntheit erlangte der Ort in der Zeit von 1816 bis 1919. Das Bestehen dieses winzigen neutralen Gebiets von Moresnet geht auf einen Streitfall zwischen dem Königreich der Vereinigten Niederlande und Preußen bei der Festlegung neuer Grenzen nach dem Untergang des französischen Kaiserreiches zurück.
Es gab keine Einigung, aber auch keinen erneuten Krieg um das Gebiet. Es blieb neutral und die Nutzung des Territoriums wurde einvernehmlich geregelt.
Im 19. Jahrhundert tritt die Zinkproduktion ihren industriellen Siegeszug an. Zink war damals quasi das Plastik des 19. Jahrhunderts. Von Badewannen über Dachrinnen bis hin zu Eimern und Alltagsgegenständen wurde in dieser Zeit alles aus Zink hergestellt. Aus heutiger Sicht mögen die Alltagsgegenstände unspektakulär wirken, Anfang des neunzehnten Jahrhunderts aber waren sie eine spektakuläre Innovation. Denn die Erfindung eines speziellen Reduktionsofens machte zum ersten Mal eine Verhüttung des Zinkspates möglich, womit die Nachfrage nach diesem Rohstoff rostfrei, wasserunempfindlich und leicht zu verarbeiten – in schwindelnde Höhen stieg. Robuste Badewannen, Kohleneimer und Schüsseln konnten nun preiswert und in großen Mengen produziert werden. Die Dächer der Haussmann-Boulevards in Paris wurden fast alle mit Zinkblech aus Kelmis gedeckt und die Pariser Dachlandschaft hatte gerade wegen ihrer einmaligen Zinkhauben Chancen, in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen zu werden.
Soziale Aspekte
Der enorme Arbeiterbedarf der Mine lockte viele junge deutsche, flämische, wallonische und niederländische Männer in das winzige Örtchen. Hier waren sie zudem vom Militärdienst in ihren Herkunftsländern befreit, und da die Niederlande und Preußen sich über die Grenzziehung nicht einigen konnten, gab es weder Einfuhr- noch Verbrauchssteuern. Nicht nur die Bevölkerungszahl wuchs rasant, auch die Kneipen schossen wie Pilze aus dem Boden. In den Hinterzimmern wurde gezockt und Schnaps gebraut. Die Schwarzbrenner versorgten sowohl die Einheimischen mit Branntwein als auch ihre ausländischen Nachbarn über den Weg der Abwasserkanäle.
In der durchaus sinnenfrohen Enklave florierte der Handel mit „Kaufkindern“. Schwangere Frauen aus dem nahen und fernen Ausland, die ihre Kinder nicht behalten konnten oder wollten, kamen nach Neutral-Moresnet. Hier half ihnen eine Hebamme bei der Geburt und vermittelte gegen Entgelt die Kinder an Familien aus dem neutralen Freistaat. Der Name der Mutter wurde registriert, die Kinder unter dem Namen der aufziehenden Familie geführt
Esch-sur-Alzette: Musée national de la Résistance
In Esch-sur-Alzette ist das Museum des Widerstands 2022 um einen Anbau des Architekten Jim Clemes, einem der bekanntesten Architekten Belgiens erweitert worden. Auch konzeptionell verfolgt das Haus nun einen breiteren Ansatz.
Das Museum wurde bereits elf Jahre nach dem Krieg eröffnet. um an die Gräueltaten der Besatzer und den Mut der Widerstandskämpfer zu erinnern. In den letzten Jahren wurden auch andere Themen aufgegriffen, die sich auf das Thema Menschenrechte beziehen wie etwa Nelson Mandela oder die Verfolgung von Sinti und Roma.
Das Museum war aktuell wegen Umbauarbeiten geschlossen. Der Leiter, Herr Schröder, skizzierte seine neue Ausstellungskonzeption und erläuterte auch, warum das Museum konsequenterweise um den Zusatz „… und Menschenrechte“ ergänzt worden ist. Er stellte eindrücklich dar, mit welchen Problemen er und sein kleines Team alltäglich zu kämpfen haben und wie schwierig es ist, ein Museum im jahrelangen Umbau aufrecht zu erhalten. Die Verwaltung wird den Kontakt mit dem Widerstandsmuseum weiter pflegen und es sollten aus unserer Sicht auch Gespräche mit dem Zentrum für verfolgte Künste in Solingen geführt werden.
Esch-sur-Alzette: Belval
Ein komplett neuer Stadtteil mit Universität, Forschungsinstituten, Kultureinrichtungen, darüber hinaus Wohnquartieren, Einkaufszentren und Dienstleistungen ist auf dem alten Stahlgelände entstanden; von der einstigen Anlage erhalten sind im Wesentlichen zwei Hochöfen, dazu einige Nebenanlagen, insbesondere die ehemalige Möllerei, die zum einen Teil kaum verändert als ungewöhnliche Ausstellungshalle, zum anderen Teil architektonisch markant transformiert als „Haus des Wissens“ (Universitätsbibliothek) genutzt wird. Diese ist auch der Öffentlichkeit zugänglich.
An das ehemalige Industriegebiet von Esch-sur-Alzette schließt sich das Naturschutzgebiet der Region Minett an, die im Jahre 2020 von der UNESCO als Biosphäre ausgezeichnet wurde. Leider hatte der Referent dazu abgesagt, so dass das durchaus interessante Thema nicht weiterverfolgt wurde. Uns wurde aber empfohlen, den Minett-Trail mit ungewöhnlichen Übernachtungsmöglichkeiten einmal selbst zu erkunden.
Im Rahmen des Besuchs von Esch-sur-Alzette haben wir auch die (grüne) Kultur- und Justizministerin von Luxemburg, Sam Tanson, getroffen. Leider konnte sie uns über Finanzierungen und Kosten zur Entwicklung des Areals Belval keine erschöpfende Auskunft geben. Genau das hätte uns besonders interessiert
Spontaner Besuch in Schengen
Weil wir gut in der Zeit waren, haben wir noch einen kleinen spontanen Abstecher nach Schengen gemacht. Bekannt geworden ist der Ort in Luxemburg durch das Abkommen von 1985. Fünf Gründungsländer, Deutschland, Frankreich, Belgien, Luxemburg und die Niederlande haben es unterzeichnet. Durch Abkommen konnten die Kontrollen an den Binnengrenzen der Vertragsstaaten aufgehoben und eine gemeinsame Außengrenze geschaffen werden. Sehr interessant waren die Bronzesterne an den Säulen, die mit für die Länder typischen Elementen gestaltet waren. Für Deutschland steht das Brandenburger Tor, aber auch ein Gartenzwerg guckte aus der Bronze heraus.
Perl-Borg: Archäologiepark Römische Villa Borg
Auf den Höhen zwischen Saar und Mosel, entlang der Verbindung von Marseille nach Köln befand sich ein römisches Landgut, das seit den 1980er Jahren systematisch ausgegraben und in weiten Teilen rekonstruiert worden ist. Das Freilichtmuseum auf dem archäologisch erforschten Gelände zeigt das Landgut in der Phase seiner größten Ausdehnung und luxuriösesten Ausstattung des 2. und 3. Jahrhunderts mit Herrenhaus,
Villenbad und Taverne, Wohn- und Wirtschaftsbereich, Küche und Gärten. Die eigentliche Villa ist im Rechteck umgeben von langgezogenen Wirtschafts- und Werkräumen. Diese sowie Gemüse, Obst und Kräutergarten lassen darauf schließen, dass der Hof auch die umliegenden Dörfer mit entsprechenden Gütern versorgt hat.
Im Dreiländereck von Frankreich, Luxemburg und Deutschland, sind allein aus der römischen Zeit über 50 Fundstellen bekannt, was auf eine hohe Besiedlungsdichte und somit ein engmaschiges Netz von kleineren und größeren Ansiedlungen, darunter auch etliche Villen, hindeutet.
Neben den eigentlichen Ausgrabungen wurden und werden weitere wissenschaftliche Untersuchungen und Projekte durchgeführt. So z.B. konnten wir uns das Glasofenprojekt ansehen, das die Technik und Geschichte der Glasherstellung dokumentiert. Nach der Führung durch die luxuriöse Villa, mit Bad, Schlafräumen und Küche gab es anschließend einen hervorragenden römischen Schinkenbraten in der Taverne.
Völklingen: Weltkulturerbe Völklinger Hütte
Die Völklinger Hütte ist eines der weltweit bedeutendsten Industriedenkmale. Es handelt sich hierbei ebenfalls um ein großes Stahlareal, mit einem im Vergleich allerdings deutlich anderen Konzept der Erhaltung und Umnutzung. Anders als in Belval, wo einzelne Elemente in die neue Bebauung einbezogen wurden, ist das Eisenwerk aus der Blütezeit der Industriealisierung komplett erhalten und wirkt wie ein riesiger Organismus, der von außen und innen besichtigt werden kann. Ein besonderer Teil im Außenbereich, das sog. „Paradies“ ist der Natur überlassen worden und soll von Flora und Fauna wieder ohne Eingriffe erobert werden. Wir haben dort – neben permanenten Installationen z.B. von Christian Boltanski – eine große multimediale und sehr beeindruckende Kunstinstallation von Julian Rosefeldt: „When we are gone“, gesehen.
Der Eindruck beim Betreten der Gebläsehalle ist buchstäblich umwerfend. Julian Rosefeldt präsentiert hier sieben seiner zum Teil raumgreifenden Arbeiten aus den letzten zwanzig Jahren an besonders ausgewählten Orten in und unter der mehr als 6.000 Quadratmeter großen Halle mit ihren gigantischen Maschinen und Schwungrädern: In der Wechselwirkung von Kunst und Industriekultur soll hier „ein eindrucksvolles Panorama des Anthropozäns erfahrbar gemacht werden“. Eine Rückschau auf unsere Geschichte und Gegenwart. Gleichzeitig läuft noch die Ausstellung von Jens Harder „The Story of Planet A“, die die Geschichte unseres Planeten in einer eindrucksvollen Comic-Trilogie darstellt. Die preisgekrönte großformatige Bild-Geschichte ist erstmals in Deutschland und Europa, als Gesamtschau im Weltkulturerbe Völklinger Hütte zu sehen.
Nach der Besichtigung haben wir Gespräche mit dem Generaldirektor Dr. Ralf Beil und der Oberbürgermeisterin von Völklingen geführt. Dr. Beil gilt als ein bekannter Kunsthistoriker und Kurator und war ehemaliger Direktor des Instituts „Mathildenhöhe“ in Darmstadt. Er ist seit 2020 an der Völklinger Hütte und hat diese tatsächlich aus unserer Sicht faszinierend bespielt.